Handwerk ist in den performativen Künsten vor allem verkörpertes Wissen und kann allein durch Praxis weitergegeben und adaptiert werden. Techniken erlernen bedeutet, Gesetzmäßigkeiten auf der Erfahrungsebene zu verstehen. Von da aus erkennt man das ästhetische Potenzial und gewinnt neue Ansätze für die eigene künstlerische Arbeit.
Wir können auch fragen: Was soll die Sprache leisten? Gemeinschaft stiften? Innere Erfahrung provozieren? Die Anbindung an kulturelles Erbe erlebbar machen? Uns unterhalten? Informieren? Konfrontation erzeugen? Was sind die Intentionen hinter den Praktiken und Ästhetiken und in welchen Denktraditionen stehen sie?
Ich arbeite eklektizistisch: Prinzipien der klassischen Avantgarde und der Postmoderne, Einflüsse aus anderen Kulturen und der zeitgenössischen Musik prägen meine Arbeitsweisen. Dabei gilt mein primäres Interesse dem Sprachprozess als Beziehungsgeschehen zwischen uns und der uns umgebenden Welt.
Meine Workshops und Labs sind entweder gezielt als Impulse für Projektarbeiten konzipiert oder allgemeiner als Angebote, die das eigene handwerkliche Instrumentarium erweitern.
In der Toolbox sind einige zentrale Themen kurz zusammengefasst.
Repräsentieren und zeigen wir als Akteur*innen etwas oder vollziehen wir eine Praxis, weil das in sich selbst sinnvoll ist? In der Textpraxis steht auf der einen Seite die Textwiedergabe als Vermittlung einer Botschaft (Kommunikation), auf der anderen die Textrealisierung, bei der die Bedeutung erst im Sprechakt (neu) hervorgerufen wird (Kognition). Diese Differenz zu erkunden und ein Gespür für die unterschiedlichen Wirkungen zu entwickeln, ist immer wieder aufregend. Ob eine Aufführung unter dem Label Performance, Inszenierung, Stückadaption oder Installation firmiert, ob wir narrativ oder jenseits von Fiktion und Linearität arbeiten – die Frage ist immer, wie wir uns zwischen diesen beiden Polen positionieren. Keine der hier aufgezählten Techniken nimmt uns die Entscheidung ab, es liegt an uns, zu gewichten, denn die Grenzen sind fließend.
In der Wiedergabe von Texten heißt Stimmimprovisation für mich, dass die Interpret*innen versuchen, sich auf den Text als »Gedächtnisspeicher« einzulassen. Sie konzentrieren sich auf eine Zeile oder Passage und übertragen davon ausgehende Stimulationen unzensiert auf die artikulierende Stimme. Der Ansatz kommt aus der freien Musikimprovisation und ist vor allem als Dialog zwischen Sprech- und Instrumentalstimmen fruchtbar. Das Herausfordernde an dieser Praxis: Jede Äußerung hat Gültigkeit, es gibt keine Korrektur. Zugleich wird der weite stimmliche Spielraum genutzt, den jeder Mensch hat. Die semantische Verständlichkeit wird teilweise unter- oder überschritten.
Welche Funktion soll dem präsenten Körper in einer Performance und im Akt des Sprechens zukommen? Z. B. die: Der Körper führt Sprachregie und die Textbedeutung entfaltet sich. D. h. ein Text wird zunächst assoziativ in physische Aktionen übersetzt (nicht naturalistisch, nicht illustrierend, aber klar konturiert). Diese Körperchoreographien werden auf die Stimme übertragen. Da die Körperaktionen durchsetzt sind mit aus dem Affektiven kommenden Impulsen, übernimmt die Stimme diese Nuancen, die uns aufhorchen lassen, weil sie lebendig und nicht ganz berechenbar sind. Es entstehen genuine Klangfigurationen und die Texte werden, wie bei der Stimmimprovisation, aus allzu vertrauten Intonationen und Zuschreibungen herausgeholt, doch gehen wir hier nicht von der mentalen Interpretation aus, sondern von der Verkörperung. Ziel ist es, semantische Inhalte spezifisch zu aktualisieren.
Sprechender Körper, Wortlaut und Textinhalt sind strukturell im Sprechakt immer gemeinsam wirksam, doch im Rhythmus wird die Simultanität von Physis und Sinn verstärkt spürbar und evoziert ein affektives Texterleben. Das macht die suggestive Wirkung des Verssprechens und anderer rhythmischer Praktiken aus. In vielen Sprechtraditionen wird durch rhythmisches Sprechen auch eine Intensivierung der Beziehung zwischen Mensch und Natur gesucht. In der Praxis bleibt es immer ein Balanceakt: sich dem Rhythmus anvertrauen, ohne den Sinn mit dem Rhythmus zu übertönen.¹
Diese vertrauteste Sprechweise ist am anfälligsten für Klischees, da wir Bekanntes imitieren. Auch der »coole« Stil ist davon nicht ausgenommen. Egal ob laut, leise, lässig oder exaltiert, entscheidend für ein nicht manieriertes Sprechen ist der innere Ansatz, der zur Sprechhandlung führt. Kern meiner gesamten Arbeit ist die Praxis des handelnden Sprechens, bei der wir lernen, den Sprechvorgang als Prozess geschehen zu lassen, der aus inneren Handlungsmotiven hervorgeht. Von da aus erschließt sich auf natürliche Weise der ganze Reichtum unserer Ausdrucksmöglichkeiten. Im Training untersuchen wir das komplexe Zusammenspiel zwischen Körper, Psyche und Intellekt, das sich in der sprachlichen Äußerung widerspiegelt.²
Es gibt eine alte Faustregel, die lautet: Ein Satz braucht mindestens einmal sein Echo, um sich entfalten zu können. Wie entfalten sich die Worte und was entfalten sie, wenn wir diese Echozeit vergrößern? Zu unterscheiden ist zwischen der psychologisch begründeten Pause (ich kann nicht weitersprechen oder tue dies absichtlich nicht etc.) und einem zeitlichen Wirkungsraum für das Gesagte als zentralem Faktor einer Komposition.
Atmosphären imaginär zu kreieren, ist eine performative Technik, die auf Imaginationstraining basiert: Ein Ort wird als Feld gesehen, das sich emotional umpolen lässt: Z. B. können wir an einem tristen Ort, allein in der Vorstellung, sprühende Energie verbreiten. Erstaunlicherweise wirkt eine so erzeugte Atmosphäre sehr direkt auf das Intuitive. Lassen wir uns davon leiten, wird unser Agieren genuiner, differenzierter und lebendiger als wir es uns je ausdenken könnten. Nach einiger Übung lassen wir auch die Stimme und das Sprechen von der imaginierten Atmosphäre leiten.³
In der synthetischen Spracherzeugung scheint jede individuelle Textwiedergabe aufgehoben. Doch wie Sprechen und Schrift, lässt sich auch synthetische Spracherzeugung nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch innovativ einsetzen, d. h. programmieren. Spannende mediale Cross-overs zwischen Schrift, Bild, realen und virtuellen Stimmen und Räumen (AR, VR) sind vorstellbar. Anknüpfen ließe sich hier z. B. an das »Korsakow-System«, das der Medienkünstler Florian Thalhofer für den Filmschnitt programmiert hat: Das Erzählmaterial wird nicht auf einer Zeitachse organisiert, vielmehr können »smallest-narrativ-units« immer neu kombiniert werden.
Mich interessier die Frage, zu welchem (Sprech)Handeln uns ein Text Anlass gibt: Die Verse einer Tragödie können uns veranlassen, im Sprechakt zu trauern, nicht Trauer darzustellen. Ein Lied über Macht kann uns auffordern, eine Sprechweise zu wählen, die Machstrukturen unterläuft und nicht nur kritisiert. Eine Geschichte kann uns motivieren, ihren Plot unwichtig zu machen. Was auch immer wir entscheiden, eine Praxisstruktur wird erarbeitet bzw. als Partitur komponiert. Im klassischen Sinne notierbar sind meist weder die Handlungen noch die Sprechakte, komponieren lassen sich aber die Parameter, die die Aktionen, bzw. die Artikulationen hervorbringen und so dem Geschehen einen Rahmen geben. Die Akteur*innen sind darin Ausführende einer Praxis.4
Vergl. zum Rhythmus: Gumbrecht, Hans Ulrich: Rhythmus und Sinn. In: Pfeiffer, Ludwig (Hg.) Materialität der Kommunikation. Frankfurt, 1988.
Die Technik des handelnden Sprechens geht wesentlich auf Konstantin Stanislawski zurück.
Die Arbeit mit Athmosphären geht u.a. auf Michail Chekhov zurück. Ich unterrichte sie in modifizierter Weise.
Vergl. zu Praxispartituren: Houben, Eva-Maria: Musikalische Praxis als Lebensform. Sinnfindung und Wirklichkeitserfahrung beim Musizieren. Bielefeld 2018.
Referenzen (Auswahl)
2017
How to use language after postmodernity?
Wie kann sich Sprache im digitalen Zeitalter »bewegen«?
Für Tänzer- und Schauspieler*innen des Oblivia Theaters Helsinki.
Der Workshop stand am Anfang eines Produktionsprozesses.
2015
Speech_LAB
Wie wir sprechen, das elaborieren wir! Jede/r bringt sein/ihr Projekt mit.
Mit Performer-Autor*innen, Musiker*innen, Dramaturgin.
In Co-Operation mit Pathos München.
Im Rahmen eines Forschungsstipendiums durch das Kulturreferat der Stadt München.
2013
Russian acting techniques and oral traditions
Körper und Atmosphäre in der szenischen Arbeit.
Mit Performer*innen /Autor*innen in London.
Der Workshop war Teil einer Stückentwicklung. Veranstalter: Tonderai Munyebvu (Tara Theater)
2012
Die unspielbare Regieanweisung
Körper und Text zwischen Figuration und Abstraktion.
Seminar mit Student*innen der Neuen Münchner Schauspielschule.
2011
Physisch: Geld
Untersucht wurden hegemoniale Strukturen von Sprache und Kapital.
Mit Performer*innen, Video Künstler*innen, Autor*innen.
Das Lab fand in München parallel zu einer Projektentwicklung statt.
2010
Handelndes Sprechen in der Szene
Vorbereitungsworkshops für eine Inszenierung.
Schauwerk Dresden Hellerau.
2009
Körper inszeniert Stimme
Wenn der Text vielstimmig wird...
Vorbereitungsworkshop für eine Inszenierung.
Dramaten Dresden.
2008
Sprachbild und Fotografie
Mit Performer*innen und Fotograf*innen. Das Lab fand in München im Kontext einer Projektentwicklung statt.